Am Ostermontag gewann der Schweizer Springreiter Steve Guerdat (33) sensationell das Weltcup-Finale 2016 im schwedischen Göteborg – und das zum zweiten Mal in Folge. Der amtierende Olympia-Sieger im Interview mit pferdonline zu seinen Emotionen nach dem Sieg, zu seinem Pferd Corbinian und zum Vergleich mit Roger Federer.
pferdonline: Steve Guerdat, herzliche Gratulation zu diesem unglaublichen Sieg. Wie haben Sie den Moment erlebt, als Sie realisierten, NULL! Sieg!
Steve Guerdat: Das war Wahnsinn. Ich habe natürlich gehofft, dass es gut gehen könnte. Ich habe zum Ziel gehabt in die Top Ten zu kommen. Mit etwas mehr Glück habe ich mir die Top 5 erhofft, und mit noch mehr Glück die Top 3. Ich glaube immer, dass ich viel erreichen kann. Ich gebe immer alles, aber man kann auch nicht immer alles kontrollieren.
Was ging Ihnen nach dem letzten Sprung durch den Kopf?
Der letzte Sprung. Ich wusste ich muss Null bleiben. Dann der Jubel der Menschen auf den Tribünen. Es fällt einem eine riesige Last von den Schultern – unglaublich! Ich hatte das Gefühl zu fliegen!
Was sie ja auch taten!
Die Leute sehen nur immer den Parcours über rund 80 Sekunden. Aber was da alles dahinter steckt ist soooo viel mehr. Sich für einen solchen Final zu qualifizieren ist schon sehr schwierig. Dann der Fokus: Ich war seit Mittwoch in Göteborg. Die Anspannung über all die Tage. Ich wusste, ich muss Null bleiben. Es ist ein weiter Weg bis ins Ziel, oder besser gesagt bis zu einem solchen Sieg.
Equipenchef Andy Kistler sagte, sie haben sich minutiös auf dieses Finale vorbereitet…
Ja, ich versuche immer mein Bestes zu geben. Und wie gesagt, es steckt sehr viel dahinter. Es muss alles passen, bis ins kleinste Detail. Das Pferd muss sich gut und wohl fühlen. Ich habe viel an der Rittigkeit von Corbinian gearbeitet. Ich bin mit ihm für drei Wochen nach Spanien gefahren und habe kleinere Parcours geritten. Ich habe versucht, mich mit dem Pferd noch besser zusammenzufinden, Vertrauen zu schaffen.
Was Ihnen offenbar gelungen ist. Was ist Corbinian für ein Pferd?
Corbinian ist ein 10-jähriger Westfalen-Wallach. Ich habe ihn vor zwei Jahren zusammen mit meinem Trainer und Freund Thomas Fuchs gekauft. Das Pferd war zum Wiederverkauf gedacht, doch ich mochte ihn so gerne und glaubte an sein Talent, so dass wir eine Hälfte an die Tessinerin Sabina Catossi verkaufen konnten. Corbinian und ich sprachen nicht immer die gleiche Sprache. Wir waren oft nicht miteinander, mehr gegeneinander. Nino zum Beispiel, oder auch Paille, verstehen meine Reiterei. Bei Corbinian klappte das nicht so gut, ich musste mich auf ihn einstellen und rausfinden, wie ich an seine Qualitäten heran komme. Zudem ist er sehr sensibel. Er braucht viel Vertrauen, obwohl er auch schon auf schwierigen Plätzen wie St. Gallen oder Calgary erfolgreich war. Corbinian ist ein Pferd mit viel Charakter, dessen Vertrauen man sich erarbeiten muss.
Sie haben mit drei verschiedenen Pferden drei grossartige Siege erritten (mit Nino des Buissonnets London 2012 Olympia Gold im Einzelspringen, mit Paille de la Roque den Weltcup-Gesamtsieg 2015, und mit Corbinian den Weltcup-Sieg 2016). Ihr Talent, ihr sportliches Können und ihre Disziplin erinnern an Roger Federer. Mögen Sie diesen Vergleich?
Nein, nicht so…
Warum nicht?
Klar braucht es Talent, Fleiss und Charakter. Aber es braucht auch die richtigen Pferde. Und ich bin einfach nur unglaublich dankbar, dass ich das alles erleben darf. Ich sehe mich als total privilegiert an. Ich versuche immer mein Bestes zu geben. Mit Pferden kann man nicht alles kontrollieren, und ohne ein Pferd bin ich auch nur ein Mensch wie alle anderen auch. Ich versuche einfach alles richtig zu machen und versuche viel für unseren Sport zu machen. Den Sport in ein positives Licht zu bringen und ihn auch vorwärts zu treiben, das macht mich glücklich.
Letztes Jahr erlebten Sie den Reitsport auch von der negativen Seite mit dem Vorwurf der Futterkontamination. Hat Sie dieses Erlebnis menschlich auch weitergebracht?
Ich wünsche dieses Erlebnis niemandem. Es war ein Erlebnis, das ich nicht verhindern konnte. Aber auch in so negativen Situationen muss man versuchen, das Beste daraus zu machen und vorwärts zu schauen. Vielleicht lässt sich auch daraus etwas Positives finden. Ich wünschte, es wäre nie passiert. Und ob es mich menschlich weitergebracht hat, weiss ich nicht. Ich hätte es vielleicht auch fertig gebracht, diesen Final zu gewinnen, ohne die damalige Sperre der FEI.
Interview: Gina Kern
Foto: Tomas Holcbecher