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Paul Estermanns Bubentraum: Das Portrait.

2. Juni 2014, in Reportagen

Der Luzerner Springreiter Paul Estermann ist vom zuverlässigen Equipenreiter zum Einzelkönner aufgesprungen. Mit dem GP-Sieg auf Castlefield Eclipse am CSIO St. Gallen erfüllte sich der nervenstarke Stilist aus Hildisrieden einen Bubentraum.

Als elfter Schweizer im 79. Grand Prix im eigenen Land hat Estermann viele Pferdsport-Insider und auch sich selbst überrascht. „Einen GP-Sieg am CSIO Schweiz wünscht sich jeder Schweizer Reiter. Ein Traum ging in Erfüllung. Der GP-Sieg in St. Gallen ist mein bislang grösster und schönster Erfolg und entschädigt mich für so manche Stunden harter Arbeit und manchen Rückschlag.“

Er musste fast 50 Jahre alt werden, ehe der Luzerner in der Springreiter-Gilde zum Begriff wurde. Zwar verzeichnete der erfahrene Profireiter und Landwirt Mitte der 90-er-Jahre schon einige beachtliche Erfolge. Er nahm mit der Stute Lugana, die 1993 mit Stefan Lauber EM-Team-Gold holte, am CHIO in Aachen teil und gewann mit Piquet 1996 den Grossen Preis in Lissabon und mit dem Inländer Flying Shark 1997 den GP in Rotterdam. „Aber zu Konstanz an der Spitze reichte es nie. Dazu fehlte mir jeweils der Überflieger“, erzählt der äusserlich sehr ruhig wirkende Luzerner, der am 24. Juni seinen 51. Geburtstag feiern wird.

PaulEstermann-CastlefieldEclipseStGallen-647

Den Überflieger, den der Hobby-Motorradfahrer jahrelang akribisch suchte, hat er mit Castlefield Eclipse gefunden. Im seinem Reitstall in Hildisrieden wird die 12-jährige Irländer-Stute nur „Milly“ gerufen. „Das ist kürzer und einfacher“, meint Estermann. Seit Februar 2011 ist das Pferd der Genfer Besitzerfamilie Fasana im Beritt des Luzerners. „Die Fasanas hatten Milly bei Jürg Notz in Kerzers eigentlich für ihre Tochter Céline gekauft. Man bemerkte aber bald, dass das Pferd für die Amateurreiterin zu gut war. So kam ich zum Handkuss.“

Nach sachtem Aufbau war der Aufstieg im Olympiajahr 2012 kometenhaft. Niemand hatte das neue Paar auf der Olympia-Rechnung. Aber Doppelnuller in den Nationenpreisen von Rom, Rotterdam und selbst in Aachen liessen viele Beobachter der Szene staunen. Das Ticket für Estermann nach London war gelöst. „Milly hat die Qualitäten für hohe Ansprüche. Das erkannte ich schon nach wenigen Wochen der gemeinsamen Arbeit. Wir fanden immer besser zusammen und vermochten uns stets zu steigern. Die Stute ist vorsichtig, kämpferisch und leistungsbereit. Ihren Übereifer konnte ich bändigen. Ich vertraue ihr blind.“

Im letzten Jahr wurde es etwas ruhiger um das zuverlässige Nationenpreis-Paar. Milly laborierte an einer lästigen Hufentzündung, wurde aber dennoch für die EM in Herning aufgeboten, wo Estermann mit 0+4 Punkten im Nationenpreis erneut den Beweis seiner Klasse ablieferte.

In der Wintersaison 2013/14 zeitigten die weiteren Fortschritte auch Spitzenresultate in der Einzelwertungen. Estermann gewann mit ‚Milly“ den Viersterne-GP in Salzburg und wurde 7. des Weltcupspringens in Zürich und 8. im GP des CSI Basel. Auch der Freiluftststart glückte. Das bewährte Paar drehte zum Nationenpreis-Auftakt in Lummen zwei Blankorunden und trug wesentlich zum Nationenpreis-Sieg bei. Im GP klassierte sich der Luzerner als 12. Am CSIO La Baule, wo die Schweiz im Team-Wettbewerb Letzte wurde, beklagte Estermann in beiden Nationenpreis-Umgängen je einen Abwurf und klassierte sich im GP nach einem Fehler als 9. In St. Gallen lief es im Mannschafts-Wettbewerb ebenfalls nicht nach Wunsch. 4+8 Punkte resultierten, und Estermann haderte: „Reiterfehler, zu viel auf das enge Zeitlimit geschaut“, monierte er. „Dabei ist Milly so ausgezeichnet in Form.“ Im Grand Prix stimmte alles. Harmonie, Cleverness, Können und Risiko. Die Belohnung: 50’000 Euro Sieggeld – so viel strich Estermann in seiner langen Karriere noch nie an einer einzigen Prüfung ein.

Bis zum CHIO Rotterdam in drei Wochen geniesst Milly nun eine verdiente Erholungspause. In Rotterdam wird die Stute am 20. Juni, wo die Schweiz zum vierten und letzten Mal in dieser Saison auf Punktejagd im FEI Nations Cup geht, wieder für die Schweizer Equipe galoppieren. Dann locken die Weltreiterspiele in der Normandie. „Noch nie war ich an einer WM dabei. Eine Team-Medaille ist unser Ziel“, sagt der verlässiche Teamreiter kleinlaut, aber bestimmt und überzeugt.

Text: Peter Wyrsch
Bilder: Katja Stuppia und CSIO