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Wie erkenne ich als Reiter "unechte Versammlung", Harry Boldt – Serie Reitmeister Teil 3

11. Mai 2015, in Reportagen

Am anderen Ende der Welt, in Australien, lebt heute Reitmeister Harry Boldt, in den 60-er und 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einer der ganz großen internationalen Dressurreiter überhaupt. Der Olympionike und ehemalige Bundestrainer der deutschen Dressurreiter widmet sich auch mit inzwischen 84 Jahren noch der Ausbildung von Pferd und Reitern und verfolgt kritisch die Entwicklung des internationalen Reitsports. Sein Credo: Versammlung muss wieder natürlicher werden. Hier der 3. Teil der Reitmeister-Serie auf pferdonline. 

Britta Schöffmann: Die überarbeiteten FN-Richtlinien sprechen von „Entwicklung von Tragkraft und Versammlung“. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Harry Boldt: Versammlung ist nur möglich wenn das Pferd genug Tragkraft entwickelt hat und mit dem Reitergewicht mühelos zurecht kommt, es in die Balance gebracht ist und nicht mehr auf der Vorhand läuft. Es muss außerdem bereits eine fortgeschrittene Durchlässigkeit erreicht haben durch Annahme der Zügel- und Schenkelhilfen, wie antraben und angaloppieren aus dem Schritt, Schulterherein und Traversalen. Ganz wesentlich ist dabei die Akzeptanz der halben Paraden, die das Pferd immer wieder auffordern, mehr Gewicht mit der Hinterhand aufzunehmen, was dann automatisch zur Versammlung führt.

Wie würden Sie als Ausbilder einem Reiter den Begriff Versammlung erklären?
Versammlung ist dann erreicht, wenn das Pferd absolut im Gleichgewicht geht, es also geschlossen ist bei fleißigen Hinterbeinen, die aktiv nach vorne treten und nicht nur folgen. Die Vorderbeine können auf diese in den drei Gangarten Schritt, Trab, Galopp höher vom Boden abfussen. Hinzu kommt ein gut gewölbter Hals mit dem Genick als höchstem Punkt und ein schwingender Rücken, der den Reiter in den Trablektionen gut aussitzen lässt.

Gibt es für Sie einen zeitlichen „Fahrplan“ auf dem Weg zur Versammlung?
Die Zeit muss es bringen, das kann bei einem Pferd schneller gehen, ein anderes braucht länger, um die Tragkraft zu erreichen. Ein korrekter Körperbau hilft hier viel. Ein zu langer Rücken, eine herausgestellte Hinterhand oder ein zu kurzer Hals sind absolute Schwachpunkte, um ein Dressurpferd zu werden.

Was sind für Sie die größten reiterlichen Fehler auf dem Weg zu Versammlung und was kann ein Reiter dagegen unternehmen?
Wenn der Reiter durch starke Einwirkung einen passageähnlichen Schwebetrab forciert wird, denn dies wird nur durch Spannung erreicht. In diesem Fall korrespondieren die Hinterbeine des Pferdes nicht mit den Vorderbeinen, die Vorderbeine sind überaktiv und die Hinterbeine laufen nur hinterher. Das ist für mich der größte Fehler. Was man dagegen tun kann? Mit feinerer Einwirkung reiten und dem Pferd die Zeit geben, die es braucht, um auf natürlichem Weg Kraft für wahre Versammlung zu entwickeln.

Was macht für Sie echte Versammlung aus?
Wenn die Lektionen mit P, also Piaffe-Passage-Pirouetten, mit großer Leichtigkeit und ausdrucksvoll auf die unsichtbar fordernden Hilfen des Reiters gezeigt werden können, kann man wirklich von höchster Versammlung sprechen. Valegro unter Charlotte Dujardin hat dies in London beinahe in Vollendung gezeigt.

Ist jedes Pferd zu Versammlung fähig?
Wie schon gesagt, Mängel im Körperbau stellen sicher die größten Hindernisse dar, wenn es gilt, ein Pferd zu einer guten und echten, korrekten Versammlung arbeiten zu wollen.

Wie erkenne ich als Reiter „unechte Versammlung“?
Wenn das Pferd mit starker Handeinwirkung zusammen gehalten werden muss, kann man nicht von Versammlung sprechen.

Versammlung in den drei Grundgangarten – in welcher ist Sie Ihrer Meinung nach am schwierigsten zu erreichen und warum?
Der versammelte Schritt ist häufig am schwierigsten. Auch hierbei muss die Versammlung deutlich erkennbar sein, das heißt das Pferd soll in geschlossenem Rahmen einen aktiven, aus der Hinterhand kommenden Viertakt präsentieren, bei dem die die Vorderbeine erhabener vom Boden abfussen und die Hinterbeine nicht über die Vorderfussstapfen treten sollen. Was schwierig sein kann bei einem Pferd mit einer 9 oder 10 im starken Schritt, also einem extremen Raumgriff und Übertritt. Ich bin aber der Meinung, dass – wenn ein solch großer Schritt sichtbar verkürzt wird und auch sonst den Kriterien der Versammlung entspricht – eine gute Benotung auch trotz eine geringen Übertretens möglich sein sollte. Ein guter Bergaufgalopp und auch eine schöne Trabversammlung sind meist leichter zu erreichen.

Versammlung früher – Versammlung heute, sehen Sie da Unterschiede im Erscheinungsbild?
Mich stört die Unsitte, den versammelten Trab passageartig zu reiten. Gemäß den Richtlinien soll sich das Pferde erhaben und kadenziert bewegen, keine Rede von einer ausgehaltenen Schwebephase. Auch bei den olympischen Spielen in London hat jeder, der es konnte, Passagetrab geritten und bekam gute Wertnoten. Angefangen hat das seinerzeit Anky van Grunsven mit Bonfire, die kurze Seiten pure Passage ritt und bejubelt wurde. Fortgesetzt hat es auch Eward Gal mit Totilas – ebenfalls belohnt mit guten Noten. Diese Art des Reitens wurde stillschweigend geduldet. Einige Schlaumeier in der jüngeren Ausbilderszene glauben zu allem Übel noch, durch andere Methoden, zum Beispiel Rollkur, Pferde schneller und besser auszubilden. Wie viele Fotos beweisen ist es aber eher eine Unterwerfung des Pferdes als ein Training mit dem Partner Pferd. Das sollte doch mal klargestellt werden.

Interview: Britta Schöffmann mit freundlicher Genehmigung des PM-Forums, Mitgliederzeitschrift der Persönlichen Mitglieder der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN)“)

Bild: Ulla Salzgeber mit Herzruf’s Erbe in Stuttgart 2014. Foto: Stefan Lafrenz
Das Bild wurde rein zufällig ausgesucht und bezieht sich weder positiv noch negativ auf das Interview.

Und wer jetzt noch Lust hat – hier ein Ritt von Christine Stückelberger mit Granat und Harry Boldts‘ Ritt mit Woycek bei den Olympischen Spielen 1976 in Toronto.