Paul Estermann figuriert nicht in der Schweizer Equipe für den CSIO St. Gallen. Der Vorjahressieger im Grossen Preis der Schweiz wird im Gründenmoos nur als Einzelreiter starten. Der Luzerner ist deswegen aber nicht verärgert. Er sagt: „Millys Formkurve wird im Gegensatz zum Vorjahr anders aufgebaut.“
Mit Milly meint der Luzerner Springreiter und Landwirt seine heftige Irländer-Stute Castlefield Eclipse, die ihn im Vorjahr zum GP-Sieg in St. Gallen und zum dritten Platz im GP von Rotterdam trug und ihm auch die Teilnahmen an den Olympischen Spielen 2012 in London, der EM 2013 in Herning und der WM im Vorjahr in der Normadie ermöglichte.
pferdonline: Warum sind Sie nicht im Schweizer Team in St. Gallen?
Paul Estermann: „Wir haben das intern so abgesprochen. Im Vorjahr war Milly zu früh in Hochform. Jetzt soll sie ihren Zenit im August in Aachen erreichen, wenn die Europameisterschaften stattfinden.“
Ihr Saisonziel sind also die Europameisterschaften in Aachen.
„Absolut. Die EM hat oberste Priorität. Ich möchte mit meiner Stute wieder dabeisein. Es geht in Aachen um einen Spitzenplatz und vor allem um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Da möchte ich mit Milly nochmals dabeisein.“
In der Wintersasison starteten Sie nicht häufig.
„Der Weltcup war für mich kein Thema. Ich habe leider nur ein Spitzenpferd. Da muss ich umsichtig und vorsichtig planen. Nach dem Weltcupspringen Ende Januar in Zürich hatte Milly Ruhe. Ich begann die grüne Saison in Hagen und wurde ohne zu forcieren Elfter im Grand Prix. In La Baule kamen wir im Nationenpreis zum Einsatz. Mit null und vier Punkten haben wir angedeutet, was nach wie vor in uns steckt. Jetzt kann ich mich in St. Gallen ganz auf den GP konzentrieren. Der Sieg im Grossen Preis im eigenen Land war mein bisher grösster und wichtigster Einzelerfolg.“
Verstehen Sie ihre Nichtberücksichtigung für die Equipe in St. Gallen?
„Ja, alle EM-Kandidaten sollen ihre Chance erhalten. Das ist fair. Letztlich wollen wir ja alle ein Spitzenresultat an der EM und noch einen der drei offen Plätze für Europäer in Rio ergattern.“
Kommt denn hinter Milly nichts nach?
„Doch, aber ich brauche Geduld. Ich baue Pferde selbst auf. Derzeit ist Lord Pepsi auf dem Sprung. Er ist erst neunjährig und verspricht einiges. Ich habe mit ihm am vergangenen Wochenende den nationalen GP in Zug gewonnen. Er muss aber noch lockerer und weniger guckrig werden. Wir sind auf gutem Wege.“
Haben Sie denn nicht finanzkräftige Mäzene und Pferdebesitzer im Rücken, die Ihnen weitere Spitzenpferde zur Verfügung stellen? Heutzutage benötigt man mehrere GP-Cracks, um vielerorts dabei zu sein.
„Die Tessiner Familie Fassana stellt mir Milly und seit wenigen Monaten auch den siebenjährigen Schimmel-Hengst Curtis Sitte zur Verfügung. Und Maria Traber unterstützt mich seit Jahren. Aber ich wäre nicht abgeneigt, wenn mir jemand noch einen oder zwei Cracks anvertrauen. Reiten kann ich ja. Das habe ich schon oftmals bewiesen.“
Wie kamen Sie überhaupt zu Castelfield Eclipse?
„Arturo Fassana hat vor vier Jahren die Stute bei Jürg Notz in Kerzers für seine Tochter Céline gekauft. Man bemerkte aber bald, dass das Pferd für die Amateurreiterin zu gut war. So kam ich im Februar 2011 zum Handkuss.“
Verhiess schon die Abstammung auf die Klasse ihres Stars im Stall?
„Kaum. Der Vater von Milly heisst Obos Quality und stammt zwar vom bekannten Spitzenpferd Quickstar ab. Die Mutter von Castlefield Eclipse ist aber unbekannt. Schön, dass es so etwas in unserer Zeit, wo alles berechnet wird, noch gibt.“
Interview: Peter Wyrsch