Meredith Michaels-Beerbaum und ihr elfjähriger schwedischer Schimmelwallach Fibonacci zeigten in den Monaten vor den Olympischen Spielen Glanzleistungen. Das Paar blieb in allen Springen über 1,60 Meter der vergangenen Monate fehlerfrei und konnte sich mehrfach bei Großevents ganz vorne platzieren. Der Wallach wurde in Absprache mit dem Bundestrainer Otto Becker sehr dosiert eingesetzt, um alles auf das Ziel Olympia auszurichten. Im Nationenpreis beim CHIO Aachen zeigte er mit zwei makellosen Nullrunden eine neuerliche und bestechende Glanzleistung. Nach dem Sieg der deutschen Mannschaft schien die Nominierung von „MMB“ nur noch Formsache, doch es sollte anders kommen: Becker wählte die Reiterin als Ersatz. Über die Gründe schweigt er in der Öffentlichkeit. Meredith Michaels-Beerbaum spricht bei pferdonline erstmals ausführlich über ihre Gefühle, die Enttäuschung und wie schwer es ist, wieder so etwas wie Alltag entstehen zu lassen.
pferdonline: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie von der Nominierung als Reserve erfuhren?
Ich war in einem echten Schockzustand. Damit hätte ich niemals gerechnet. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass wir es verdient haben, nur das Ersatzpaar zu sein. Fibonacci hat in diesem Jahr bis auf eine Ausnahme in den großen Springen nur Nullrunden gezeigt. Besser geht es eigentlich nicht. Der Bundestrainer sagte mir immer, dass ich vor allem Wert legen sollte, nicht zu viel zu machen und ihn frisch sein zu lassen. Er meinte auch, dass Fibonacci nichts mehr zeigen muss. Schließlich war er ja bereits im vergangenen Jahr Championatspferd und konnte bei der EM als Achter und damit zweitbestes deutsches Pferd auch voll und ganz überzeugen. Darum war ich auch so überrascht, als mir die Entscheidung bekannt gegeben wurde, und total enttäuscht. Eine derartige Entscheidung nach einer Doppelnull-Runde im Nationenpreis von Aachen ist völlig unverständlich. Wenn ich ehrlich bin, hat mir das schon das Herz gebrochen. Ich hatte es niemals kommen sehen.
Ein Pferd wie Fibonacci, das sehr sicher eine Nullrunde nach der anderen springt und über derartiges Vermögen verfügt, scheint ja auch optimal für die olympischen Parcours…
Das ist vermutlich auch am schwersten. Ich wusste immer, dass ich mit Fibonacci wieder ein super Olympia-Pferd habe. Er kann alles springen und ich weiß, dass ich tatsächlich die Chance gehabt hätte, mit ihm zweimal auf dem Podium zu stehen. Fibonacci ist zwar kein so schnelles Pferd, aber es gibt kaum ein Pferd, das solche Möglichkeiten hat, über schwere und hohe Hindernisse zu kommen wie Fibonacci. Ich hätte die Entscheidung verstanden, wenn es um ein Springen gegangen wäre, bei dem Schnelligkeit zählt. Nur dies ist bei den Olympischen Spielen ja überhaupt nicht die Aufgabe.
Wie haben Sie die Zeit nach dem Schock erlebt?
Zu Anfang war ich total deprimiert und konnte es überhaupt nicht verstehen. Ich muss auch sagen, dass ich mich nach dieser Nachricht gleich krank gefühlt habe und es schon am Samstag sehr schwer war zu reiten. Das gleiche gilt für den Großen Preis am Sonntag, den Fibonacci aber unglaublich toll gesprungen ist. Mit seiner Leistung kamen wir noch auf den 10. Platz und ich bin ihm sehr dankbar. Zum Glück hatte ich in den folgenden Tagen unheimlichen Zuspruch von vielen Leuten, die mich anriefen, mir Nachrichten schickten oder mich auch auf dem nachfolgenden Turnier einfach ansprachen und mir sagten, dass die Entscheidung für sie nicht nachvollziehbar ist und es einfach unvorstellbar wäre, uns nicht in Rio zu sehen.
Natürlich habe ich viel darüber nachgedacht, dass auch meine Teamkameraden tolle Pferde haben und sehr gute Leistungen brachten. Doch spätestens nach dem Nationenpreis und der unglaublich sicheren Doppelnullrunde von Fibonacci hätte ich niemals gedacht, nicht dabei zu sein. Die Enttäuschung ist immer noch da, jeder Tag ist zwar ein bisschen besser, aber das braucht Zeit. Doch natürlich möchte ich nach vorne blicken.
Nach vorne heißt ja auch Richtung Rio. Sie haben die Rolle der Reservereiterin angenommen und werden mitfliegen – mit welchen Gefühlen?
Ich muss ehrlich sagen, dass die Reise mit vielen Strapazen verbunden ist und darum kann ich mich darauf auch nicht wirklich freuen, diese nur als Ersatz anzutreten. Ich kann das sicher machen, aber vor allem tut mir der arme Fibonacci leid, der dorthin fliegen muss, dann lange Zeit dort steht und sehr wahrscheinlich nicht zum Einsatz kommt. Wir können ja auch nicht einfach früher zurückfliegen. Damit verpassen wir auch Turniere hier, bei denen wir hätten reiten können. Ich wollte aber keine schlechte Sportlerin sein und möchte auch meine Teamkollegen in Rio unterstützen. Sie haben auch alle super Pferde und ich sehe es als meine Pflicht als Sportlerin, meinen Job als Reservereiterin zu machen.
Allerdings konnte man zunächst in der Presse lesen, dass sie überlegt hätten, doch nicht nach Rio zu reisen…
Das stimmt, das war auch die erste Reaktion von Fibonaccis Besitzer Jim Clark. Er verstand die Entscheidung nicht und überlegte durchaus, dem Pferd diesen Stress, das Trainingslager und den ganzen Aufwand zu ersparen. Allerdings haben wir am Folgetag alle zusammen darüber gesprochen und waren uns einig, dass wir, auch wenn keiner darüber glücklich ist, kein schlechter Sportler sein wollen.
Gibt es für Sie überhaupt etwas, auf das Sie sich bei der Reise nach Rio freuen?
Nun ja, um ehrlich zu sein, fällt mir dabei nicht so viel ein. Die olympische Atmosphäre ist natürlich schon besonders und es ist schön, Sportler anderer Disziplinen zu treffen und vielleicht auch den einen oder anderen Wettkampf ansehen zu können. Allerdings ist es einfach schwierig, Vorfreude zu entwickeln. Man hört ja auch viel Negatives von Rio, schon allein, wenn man an die Mücken-Problematik denkt. Dazu kommt die angespannte Sicherheitslage dort. Es soll ja schon gefährlich sein, sich ins Taxi zu setzen und sich etwas anzuschauen. Wenn die Olympischen Spiele in Europa stattfinden würden, wäre das deutlich einfacher und selbstverständlich könnten wir auch flexibler an- und abreisen. Leider habe ich auch gehört, dass ich als Ersatz möglicherweise nicht zu allen Sportstätten komme und dies ohnehin aufgrund der Sicherheitsproblematik sehr schwierig sein soll. Zum Glück ist mein Mann Markus mit dabei, da er auch als Trainer von seiner Schülerin Lucy Davis vor Ort sein wird. Ohne ihn könnte ich mir die Reise überhaupt nicht vorstellen.
Beitragsbild: Meredith Michaels Beerbaum mit Fibonacci
Foto: CJW Photography
Interview: Alexandra Koch