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Der meisterliche Blick – heute Klaus Balkenhol zum Thema Gleichgewicht.

6. November 2014, in Reportagen

Der deutsche Reitmeister Klaus Balkenhol hat im Rahmen „Die alten Meister“ in Gossau Ende September die Schweizer Reiter beeindruckt. Mit wie wenig Aufwand, viel erreicht werden kann. Seit über 50 Jahren gibt es in Deutschland die FN-Richtlinien für Reiten und Fahren, ein Standartwerk mit internationaler Anerkennung – eine Art kleine Bibel des Reitsports. Mit der Überarbeitung des Band 1. vor einem Jahr wurden umfangreiche Ergänzungen und Änderungen vorgenommen. In Interviews äußern sich an dieser Stelle Reitmeister zu einzelnen Themen und Kapiteln des Standartwerkes. Den Anfang macht Klaus Balkenhol, der die Leser an seinen Gedanken zur Bedeutung des Gleichgewichts in der Pferdeausbildung teilhaben lässt. Die deutsche Journalistin und Buchautorin Britta Schöffmann hat mit Klaus Balkenhol gesprochen. 

Britta Schöffmann: Herr Balkenhol, jahrzehntelang bildeten in der Ausbildung des Pferdes die Begriffe Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung und Versammlung die „Skala der Ausbildung“, die die Perfektionierung der Durchlässigkeit zum Ziel hat. Mit dem überarbeiteten ersten Band der FN-Richtlinien gehört zur Ausbildungsskala nun auch der Begriff des Gleichgewichts. Was halten Sie von dieser Ergänzung?
Klaus Balkenhol: Die Ausbildungsskala ist für mich das Ausbildungswerkzeug überhaupt, zu dem das Thema Gleichgewicht aber immer schon dazu gehört hat. Es wurde letztlich nur nicht explizit erwähnt. Das dies nun auch schwarz auf weiß festgeschrieben wurde, halte ich für sehr wichtig. Für mich war das Gleichgewicht immer schon Begleitung und Ergebnis der richtigen Umsetzung der Ausbildungsskala. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass auch der Begriff Vertrauen aufgenommen worden wäre, denn das steht für mich beim Umgang mit dem Pferd an allererster Stelle.

Bleiben wir beim Gleichgewicht. Wie würden Sie es näher beschreiben?Gleichgewicht ist sehr wichtig, denn es bildet letztlich die Voraussetzung für die Losgelassenheit. Dabei meine ich nicht nur das Gleichgewicht des Körpers, sondern auch das im Kopf. Vor allem junge Pferde verlieren unterm Sattel oft ihr natürliches Gleichgewicht, sowohl ihr körperliches als auch ihr mentales, und müssen beides durch planvolle Arbeit erst wieder finden. Dies erfordert und beinhaltet immer Losgelassenheit und auch Geraderichtung des Pferdes. Gleichgewicht ist deshalb auch etwas, was im Laufe der richtigen Arbeit mit dem Pferd immer sicherer und perfekter wird.

Wie äußert sich das und woran erkennt man, wenn etwas nicht stimmt?
Ein Pferd, das sich im Gleichgewicht befindet, kann immer besser und sicherer im geforderten Rahmen in Selbsthaltung gehen. Hat es dagegen Probleme, sein Gleichgewicht zu finden, und versucht es, dies über seine Schiefe zu kompensieren, wird es unter anderem den Sattel immer auf eine Seite schieben. Der Reiter muss ein Gefühl dafür bekommen, ob sich das Pferd unter ihm im Gleichgewicht befindet oder eben nicht. Das ist nicht ganz einfach und erfordert eine Menge Erfahrung.

 Worin äußert sich „Ungleichgewicht“ oder besser ein Mangel an Gleichgewicht?
In unzufriedenem Maul, Taktunreinheiten, unruhigem, schiefen Schweif und Problemen mit der relativen Aufrichtung. Aber auch, wenn es seinen Reiter nicht sitzen lässt, sich im Rücken, dem Bewegungszentrum, nicht loslässt und nicht zum Schwingen kommt. Pferde, die im Gleichgewicht sind, schwingen besser durch und haben es leichter, sich in relativer Aufrichtung auszubalancieren. Diese Aufrichtung nach klassischen Grundsätzen ist letztlich nur über ein gutes Gleichgewicht zu erlangen.

Rahmen, Selbsthaltung, Aufrichtung – hat Gleichgewicht immer nur etwas mit Dressurreiten zu tun?
Nein. Ein gut im Gleichgewicht gehendes Pferd vermittelt dem Reiter mehr   Sicherheit, ganz gleich, in welcher Situation oder Disziplin.

Hat jedes Pferd die gleichen Voraussetzungen für Gleichgewicht?
Ob ein Pferd unter dem Reiter leichter oder schwerer sein Gleichgewicht findet, hängt in großem Maße auch von seinem Gebäude ab. Wenn es zum Beispiel deutlich überbaut ist, wenn es sehr hohe Sprunggelenke hat oder lose Kniegelenke oder einen ungünstig angesetzten Hals, dann fällt es ihm meist schwerer, ins Gleichgewicht zu kommen. Das gilt übrigens für die meisten Exterieurmängel.

Lassen sich solche Probleme über die Arbeit lösen?
Man kann bestimmte Muskelgruppen trainieren und festigen und ein Pferd so stabilisieren. Das erfordert natürlich ein großes Wissen über die Zusammenhänge der Anatomie, viel Können und vor allem viel Zeit. Wer hier keine Geduld hat, wird scheitern. Aber das gilt für fast alles beim Reiten.

Apropos Zeit und Geduld – inwieweit sind dies wichtige Faktoren bei der Verbesserung des Gleichgewichtes?
Sie sind außerordentlich wichtig, genauso wie auch die immer wieder gegebenen halben Paraden während der Arbeit. Ein Pferd muss erst lernen, sich zu tragen und in Selbsthaltung zu gehen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass es die halben Paraden und ihre Bedeutung verstanden hat. Denn wie schon gesagt: Gleichgewicht spielt sich auch im Kopf ab. Es ist wie beim Menschen: Überforderung, körperliche wie psychische, führt zu Stress, nur dass der Mensch dies spürt und Pause oder Urlaub machen kann. Ein Pferd kann nicht sagen: Hey, das wird mir gerade zuviel. Es ist seinem Reiter ausgeliefert. Wird es von einem ungeschickten oder groben Reiter über einen bestimmten Punkt hinaus geritten, verliert es sein inneres Gleichgewicht – und damit auch sein äußeres, sein körperliches. Aus solcher Überforderung entsteht dann oft Widersetzlichkeit, die zu unschönen Bildern führt. Das Wiederherstellen, Beibehalten und Verbessern des Gleichgewichts ist folglich eine der herausragenden Aufgaben der klassischen Ausbildung auf dem Weg zur Harmonie zwischen Reiter und Pferd.

 

„Mit freundlicher Genehmigung des PM-Forums, Mitgliederzeitschrift der Persönlichen Mitglieder der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN)“

Bild: Klaus Balkenhol auf dem Titel des Buches „Klaus Balkenhol – Dressurausbildung nach klassischen Grundsätzen“, geschrieben von Britta Schöffmann, erschienen im Kosmos Verlag. Sehr lehrreiches und interessantes Buch.