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Slow-Feeding-Systeme – was bringen sie wirklich? Eine Analyse.

8. Juli 2016, in Reportagen

Damit Pferde nicht zu dick und verhaltensauffällig werden, finden Slow-Feeding-Systeme den Weg in unsere Ställe. Doch was bringen Heunetze und Heutoys wirklich und was ist bei der Angewöhnung entscheidend?

In freier Wildbahn essen und bewegen sich Pferde fast rund um die Uhr. In der Stallhaltung sieht das meist anders aus. Dort gibt es zwei bis drei Mal am Tag eine rationierte Portion Raufutter. Kein bisschen pferdegerecht, findet etwa Christa Wyss, Mitarbeiterin des Schweizer Nationalgestüts in Avenches. Denn anders als bei uns Menschen produziere der Pferdemagen kontinuierlich Magensäure. Erst der Futterbrei puffere den Säuregehalt des Mageninhalts ab, erklärt die Expertin. Geschieht das nicht, kann das zu Magenschmerzen und Magengeschwüren führen. Ausserdem können Verhaltensstörungen wie Koppen und Weben die Folge sein. Stellt man andererseits insbesondere leichtfuttrigen Pferderassen Futter rund um die Uhr zur Verfügung, werden sie schnell zu dick.

Die gute Nachricht: Lösungen, damit Stallbesitzer ihre Pferde artgerechter ernähren können, drängen auf den Markt. Unter dem Begriff Slow Feeding entwickeln Hersteller Heutoys, Heunetze und Spargitter. Die sollen ermöglichen, dass Pferde sich deutlich länger mit der Nahrungsaufnahme beschäftigen können. Und zwar ohne dabei zu viel zu fressen, sprich ohne zu dick zu werden. Denn den Pferden wird das Fressen erschwert – sie müssen das Heu erst durch Löcher herausziehen. Ganz nebenbei auch eine gute Beschäftigung. Aber halten diese Systeme tatsächlich, was die Produktbeschreibungen bei B+M, Felix Bühler & Co. versprechen? Das Schweizerische Nationalgestüt hat das unter die Lupe genommen.

„Wir wollten unter anderem wissen, wie stark Heunetze die Futteraufnahme tatsächlich verlangsamen“, sagt Christa Wyss, „und ob sich das Kaufverhalten dadurch verändert.“ Stuten in Gruppenhaltung kamen als Testerinnen zum Zuge. Das Ergebnis: Tatsächlich reduzierte sich ihre aufgenommene Futtermenge im Schnitt deutlich. Konkret frassen die Pferde aus Avenches durchschnittlich pro Stunde: ohne Netz 1.69 Kilogramm, mit einem Netz mit 4.5 Zentimeter Maschenweite 1.51 Kilogramm und mit 3-Zentimeter-Netz 1.26 Kilogramm. Je kleiner die Maschenweite des Netzes war, desto mehr zupften und desto weniger kauten die Pferde.

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Achtung Unfallgefahr! Heunetz in Box.

Und trotzdem scheint die ideale Lösung mit Heunetzen nicht gefunden zu sein. Die Netze mit 3 Zentimeter Maschengrösse, die aus gewebtem Material bestanden, zerkauten die Tester-Stuten innerhalb weniger Stunden. Die geknoteten 4.5-Zentimeter-Netze hielten zwar etwas länger – aber auch nur zwei, drei Wochen. Wobei Pferdehalter da unterschiedliche Erfahrungen machen. Einige Pferde kommen eben schneller drauf, wie man ein Netz durchbeisst, und andere gar nie.

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Beliebt in Pensionsställen: Heutoy

Bei B+M etwa sind aktuell Heutoys gefragt, vor allem bei Boxenhaltung. „Heutoys sind viel langlebiger als Heunetze“, weiss Bruno Holzherr, Verkauf Innendienst. Seit August letzen Jahres hat der Stalleinrichter die aus Kunststoff geformten Futterbehälter mit Löchern im Verkauf, aus denen Pferde das Heu heraus zupfen müssen. Zwar würden einige Pferde auch am Plastik knabbern, so Holzherr, aber so leicht wie Schnüre lassen die sich eben nicht durchbeissen. In der Praxis werde häufig eine Kombination aus Heutoy und offenem Heu angeboten, erzählt Holzherr. „Dann dient es mehr noch als Beschäftigung.“

Ob Heunetz oder Heutoy – heikel bleibt, dass Pferde individuell auf die Slow Feeding Systeme reagieren. Nehmen sie im Schnitt zwar weniger Futter durch Netze auf, zeigt die Studie aus Avenches doch auch Ausreisser, die gleichviel oder sogar mehr fressen. Bei der Boxenhaltung sollten Besitzer ihre Pferde deshalb genau beobachten, um zu beurteilen, welche Variante am besten passt. „Es kann auch sein, dass ein Pferd die Futteraufnahme mit einem 4.5-Zentimeter-Heunetz zunächst verlangsamt, aber mit der Zeit geschickter und schneller wird“, erklärt Wyss. „Dann müsste man später auf ein engmaschigeres Netz umsteigen.“ Dabei sollte man das Gewicht der Pferde regelmässig beobachten. Nützlich sind dazu entweder Waagen in der Landi, oder auch Messbänder, die anhand des Brustumfangs ein etwaiges Gewicht angeben. In der Gruppenhaltung sei natürlich ideal, so Wyss, wenn nach dem dicksten Pferd geschaut wird – und andere, zum Beispiel jüngere Pferde mit höherem Fressbedarf, noch zusätzlich anderswo Zugang zu Heu haben.

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Netz für Rundballen in Gruppenhaltung geeignet.

Um frustrierte Pferde zu vermeiden, sollten Halter ihre Pferde unbedingt erst an die neue langsame Fütterungsvariante gewöhnen. Wenn ein Pferd mit einem Netz gar nichts anzufangen weiss, empfehlen sowohl Christa Wyss als auch Bruno Holzherr von B+M erst ein Netz mit grösseren Maschen zu wählen, zum Beispiel mit 10×10 Zentimetern. Beziehungsweise bei Heutoys zunächst grössere Löcher einstellen. Bis ein Pferd dann weiss, was zu tun ist, können zwei bis vier Wochen vergehen.

Offen bleiben Bedenken von Pferdebesitzern, die aktuell noch nicht durch Studien belegt sind. Etwa ob sich Pferde an Zähnen und Zahnfleisch verletzen können; am Metall von Sparraufen oder an den Fäden der Heunetze nicht undenkbar. Oder ob das Schiefhalten des Kopfes bei aufgehängten Netzen schädlich sein könnte. Eine weitere Gefahrenquelle von Netzen ist, dass beschlagene Pferde mit den Eisen hängenbleiben. Wie lautet dann also das Fazit? Ausprobieren, wie die eigenen Pferde auf Heunetze zum Beispiel von Felix Bühler, Heutoys oder auch Sparraufen reagieren. Gewichtsveränderungen und Verletzungen beobachten. Möglichst häufig über den Tag verteilt füttern anstatt nur zwei bis drei Mal (hierbei können computergesteuerte Systeme durchaus Entlastung schenken, wobei die nicht ganz günstig sind). Zunächst Kraftfutter weglassen, wenn Pferde zu dick werden. Und schlussendlich verfolgen, ob Hersteller neue Systeme entwickeln, die noch pferdegerechteres Ernähren ermöglichen.

Text: Ann-Kathrin Schäfer
Fotos: Felix Bühler und BundM