„Im Winter beginnt mein Tag um halb sieben und im Sommer um fünf. Der Wecker muss zwei, drei Mal klingeln, bis ich wirklich aufstehe. Aber sobald ich aus dem Bett bin, bin ich fit. Ich mache mich nur fünf Minuten fertig und gehe gleich in den Stall, neben dem ich wohne. Als erstes stelle ich mein Pferd Touchable aufs Laufband und gehe frühstücken. Wir haben von der Firma aus eine Kantine – ebenfalls gleich neben dem Stall. Dort trinke ich meinen Kaffee und esse dazu etwas Feines, Ungesundes, zum Beispiel ein Nussstängeli.
Danach geht es zurück in den Stall. Bevor ich Touchabel reite, stelle ich Cordel auf das Laufband. So geht das den ganzen Vormittag: Eins meiner fünf Pferde steht immer auf dem Laufband, während ich ein anderes reite. Was mit welchem Pferd ansteht, ist ganz individuell. Touch zum Beispiel habe ich bereits seit elf Jahren. Wir sind dressurmässig sehr gut eingespielt und von daher geht es mir einfach darum, ihn bei Laune zu halten. Cordel wiederum muss dressurmässig sehr gut gearbeitet werden. Je nach Turnierplan baue ich kleine Sprünge oder Gymnastikübungen ein. Bei einem wichtigen Turnier, wie jetzt in St. Gallen, fahre ich morgens nach Müntschemier zu Gerhard Etter für das Springtraining. Ausreiten gehe ich nur je nach Pferd. Mit Touch ist das zum Beispiel nicht möglich, er gerät dann in Stress, so dass es in unserem doch sehr schwierigen Gelände gefährlich wird. Er darf stattdessen auf die Weide oder den Paddock.
Noch vor 12 Uhr mache ich Mittagspause, um zu duschen und Mittag zu essen. Ich koche mir meistens etwas Kleines, zum Beispiel Pasta, Reis, Gemüse oder ich mache mir einen Salat. Fleisch esse ich kaum. Um viertel nach eins gehe ich ins Büro. Als erstes schaue ich die Post durch und das, was auf dem Schreibtisch liegt. Ich kümmere mich vor allem um Löhne und Gehälter sowie die Versicherungen. Unser Familienbetrieb ist mittlerweile wirklich gross geworden, wir haben 190 Angestellte. Mir wird also nie langweilig. Trotz Stress haben wir eine gute Stimmung bei uns. Mein Vater arbeitet im Büro, meine Schwester trotz ihrer drei Kinder auch, und mein Schwager. Wir stehen alle hintereinander und haben einen guten Zusammenhalt. Ich teile mir jetzt seit 21 Jahren den Tag mit Büroarbeit und Reiten auf, seit ich die Lehre angefangen habe. Damals habe ich bis 16 Uhr gearbeitet und bin danach meine zwei Pferde geritten. Als ich mit der Lehre fertig war, habe ich begonnen am Vormittag zu reiten, und so mache ich das heute noch.
Theoretisch hätte ich um viertel nach fünf Feierabend, aber ich schaffe es meist nicht vor 18 oder 19 Uhr aus dem Büro. Danach nehme ich mir Zeit, mit meinen zwei Hunden zu laufen. Selten gehe ich auch mal etwas mit einer Freundin trinken. Meistens bin ich aber froh, wenn ich zu Hause meine Ruhe habe. Manchmal sitze ich auch noch mit meiner Pferdepflegerin draussen und esse etwas Kleines. Spätestens um zehn Uhr gehe ich schlafen.
Wenn ich auf einem Turnier unterwegs bin, reitet meine Pferdepflegerin die Pferde, die zu Hause bleiben. Dann kann es auch vorkommen, dass ich nur zwei oder drei Tage im Büro bin. Meinen Laptop nehme ich aber immer mit, falls etwas Dringendes zu erledigen ist. Ausserdem gehe ich dann oft auch noch am Samstag oder Sonntag ins Geschäft. Klar ist das anstrengend, aber mir ist es sehr wichtig, den Ausgleich zwischen Pferdesport und Beruf zu haben.
Durchschnittlich ein bis zwei Sonntage pro Monat habe ich frei. Wenn das Wetter stimmt, gehe ich wandern und im Winter steht jeweils ein Skitag an. Manchmal nehme ich mir auch gar nichts vor und schlafe einfach aus. Meistens wache ich zwar auch dann um fünf Uhr auf, aber schlafe danach noch mal bis acht oder neun. Ferien habe ich selten. Zwischen den Jahren fahre ich mal vier, fünf Tage weg, zu meiner Stute und meinem Hengst, die in Irland bei Andrea Etter in der Zucht sind. Manchmal fahre ich im Winter auch eine Woche nach Spanien. Aber für alles bleibt einfach keine Zeit. Wenn man mit den Pferden erfolgreich sein will, muss man auf gewisse Sachen verzichten. Auf der anderen Seite bekommt man ja sehr viel zurück. Das grösste Glücksgefühl ist für mich, wenn ich spüre, dass die Pferde für mich kämpfen, zum Beispiel während ich einen Nationenpreise für die Schweiz reiten darf. Das sind einfach tolle Momente“.
Zur Person:
Claudia Gisler (37) wohnt in Seedorf (Uri) und arbeitet halbtags im Familienbetrieb. Zuletzt nahm sie an den Turnieren des CSI Basel und CHI Genf teil.
Aufgezeichnet von Ann-Kathrin Schäfer