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5-Sterne-Richterin Katrina Wüst: "Dass in der Schweiz die Richter ihre eigenen Schüler richten dürfen, ist ein absolutes No-Go."

21. November 2014, in Aktuell, Dressur, Heisses Eisen, Reitsport

Die deutsche Katrina Wüst sitzt im Richterhaus, wenn die ganz „grossen“ der Dressur ins Viereck galoppieren. Sie kennt Totilas, Damon Hill und Parzival bis ins kleinste Detail. Am Wochenende hat die Richterin in Bern den Schweizer Nachwuchs unter die Lupe genommen. pferdonline hatte die Möglichkeit mit Katrina Wüst vor ihrem Einsatz am German Masters Stuttgart ein Interview  zu führen. 

pferdonline.ch: Katrina Wüst, Sie haben in Bern unseren Dressurnachwuchs in einem Lehrgang unterrichtet. Wie sind unsere Nachwuchsreiter drauf?
Katrina Wüst: Es ist immer wieder toll mit Jugendlichen zu arbeiten. Die Schweizer Nachwuchsreiter werden besser, sie haben gute Fortschritte gemacht und sind top motiviert. Es ist ein deutlicher Leistungsaufschwung zu verspüren.

Wo sehen Sie uns im Nachwuchsbereich international?
An der Euro hatte die Schweiz zwei Ponys im Finale das war schon eine starke Leistung. Und Estelle Wettstein hatte an der Euro Pech weil sich ihr Pferd erschrocken hat. Es gibt immer Einzelne, die herausragen. Ich sehe die Schweiz im positiven Mittelfeld. Vor ein paar Jahren fand man die Schweiz am Ende des Klassements, das hat sich nun deutlich geändert – dank der guten Arbeit von Heidi Bemelmans. Sie hat Struktur in den Nachwuchs gebracht. Dazu möchte ich betonen, dass das Niveau allgemein international höher geworden ist. Die Zuchtnationen Deutschland, Holland, Dänemark können auf eine Menge von sehr guten Nachwuchspferden zurückgreifen. Da ist es dann schon mal so, dass ein Hengsthalter einer talentierten Reiterin ein tolles Pferd zur Verfügung stellt. In der Schweiz haben die Eltern teilweise mächtig investiert. Dazu muss man noch das richtige Pferd erwischen, das ist nicht immer einfach.

Und trotzdem haben wir Mühe, den Anschluss an die absolute Weltspitze zu schaffen.
Marcela Krinke Susmelj reitet in der Weltspitze mit. Aber auch hier, der Sport lebt von Einzelreitern. Das war früher bei den Schweizern schon so. Stückelberger oder Iklé waren auch lange Zeit Einzelkämpfer. Es ist klar auch eine Frage der Qualität der Pferde. Nicht jede Nation hat einen Totilas oder einen Damon Hill. Die Top Reiter haben oft Sponsoren.

Wie sehen Sie persönlich als deutsche und internationale Richterin die Schweizer Dressur.
Die Schweiz ist eines meiner Lieblingsländer. Meine Mutter lebte bis zu ihrem Tod im Tessin. Ich bin sehr „schweizaffin“. Die Schweiz ist ein Land mit einer grossen Dressurtradition. Und die Schweizer haben eigentlich auch genug Möglichkeiten um sich den Sport leisten zu können. Aber was internationaler Sicht schade ist, ist dass die Schweizer oft nicht alle am gleichen Strang ziehen. Unterschiedliche Gruppen sind für jeden Sport immer kontraproduktiv. Deshalb finde ich es unglaublich toll, dass die Jugend so gut miteinander arbeitet. Die Kinder muss man zusammenschweissen. Sie müssen lernen miteinander zu kämpfen und nicht gegeneinander. Und es ist immer gut wenn ein Land sich am Leistungsstand anderer Nationen orientiert und schaut wie es die anderen machen.

Woran happert es denn noch? Haben wir die falschen Pferde?
Der internationale Sport ist dichter geworden. Es ist nicht einfach drei top Pferde zu finden um eine Mannschaft zu bilden. Und mit der Qualität der Pferde steht und fällt der Erfolg auf dem internationalen top Niveau. Die Engländer sind jahrelang nicht als eine der drei führenden Dressurnationen hervorgetreten, nun haben sie sehr gute Pferde und sind an der Spitze mitdabei. Jedes Land will die besten Reiter und die besten Pferde haben. Darum muss man in der Auswahl der Pferde sehr wählerisch sein. Und man muss sich auf die richtigen Leute verlassen. Das Geld sollte richtig investiert werden. Bei Kindern, deren Eltern reiten oder im Pferdehandel arbeiten, ist das Management oft besser. Vielfach erwischt es Eltern, die nicht sehr erfahren im Pferdekauf sind. Sie investieren im guten Glauben und nicht immer richtig.

Nun haben wir ja auch international keinen einzigen Richter mehr. Unsere  Beatrice Bürchler-Keller ist im Ausstand wegen ihres Pferdes Unee BB, dem Hengst, der von Jessica von Bredow-Werndl geritten wird.
Ja, Beatrice ist eine der besten Richterinnen überhaupt. Der Schweiz fehlt der Richternachwuchs und dies ist ein grosses Problem. Und da muss ich anfügen: Dass in der Schweiz die Richter ihre eigenen Schüler richten dürfen, ist ein absolutes No-Go. Das wird in fast allen Ländern anders gehandhabt. Die Richterausbildung in der Schweiz wurde jahrelang vernachlässigt. Vielleicht sollte man das Richtverfahren überdenken. In England beispielsweise gibt es einen „fast-track“ für Championatsreiter. Da kamen einige Richter hervor. Was in 10 bis 12 Jahren Ausbildung war, verkürzte sich auf vier Jahre.

Jeder richtet in der Schweiz Jeden. Wenn das nicht mehr möglich ist, dann haben wir keine Richter mehr, wird argumentiert.
Ja eben, deswegen müssen mehr Richter ausgebildet werden. Gute Richter haben auch einen Einfluss auf die Reiter. Ein guter Richter kann den Reiter auch weiterbringen. In deutschen Bundesländern, mit weniger oder schlechteren Richtern, wird auch schlechter geritten, das ist eine Tatsache. Der Sport entwickelt sich rasant weiter. Nach jedem Turnier wird unter den Richtern intensiv diskutiert. Es gibt einmal im Jahr ein Fünfsternerichterseminar, da ist nach dem Ausstand von Frau Bürchler kein Schweizer mehr dabei. Das ist sehr schade. Denn dadurch könnte auch mehr Input zurück zur Basis fliessen was den Sport indirekt in der Schweiz weitertreiben könnte.

Nun richten Sie in Stuttgart am German Masters. Wie schwierig ist dieser Job eigentlich?
Sagen wirs mal so, es ist nicht immer ganz einfach. Und oft sieht man aus verschiedenen Perspektiven verschiedene Dinge: Wenn einer eng ist im Hals sieht man das bei C nicht so gut wie bei E oder B. Und auch die Mittellinie zum Schluss gibt sieben Noten. Wenn da ein Reiter einen Meter neben der Mittellinie reitet, sieht man es nur bei C. So kommt es auch international mal zu Abweichungen.

Zur Person: Die Deutsche Katrina Wüst eine angesehene Fünfsternerichterin. Sie wird nächstes Jahr an der EM in Aachen als Chefrichterin amten. Wüst richtete in ihrer Karriere vier Weltcup-Finals, des weiteren hat sie an Europameisterschaften gerichtet. Wüst war in den 70er Jahren Mitglied des deutschen B-Kaders, sie ist international Grand Prix geritten. Wüst ist Mutter von drei erwachsenen Kindern, ist gebürtige Rheinländerin lebt aber seit vielen Jahren in einem Vorort von München.

Interview: Gina Kern
Bild: Katrina Wüst, Foto: Valeria Streun