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Scheren – Notwendiges Prozedere oder Eingriff in die Natur des Pferdes?

25. November 2016, in Newsticker, Reportagen

Wenn es draußen kälter wird, entdeckt man sie wieder vermehrt in unseren Reitställen: Pferde mit Blumen auf der Kruppe, Sternchen am Bauch oder abstrakten Mustern am Hals. Oft genug hat der Besitzer auch seinen Namenszug oder eine besondere Botschaft verewigt. Vielfach müssen Pferdebesitzer dann schon schmunzeln oder überlegen, was unserem geliebten Vierbeiner denn besonders gut stehen würde. Doch genau in diesem Moment muss einem erst einmal eine wichtige Frage durch den Kopf gehen: Ist Scheren überhaupt sinnvoll?

Unter Profis wird genau abgewogen, welche Pferde man ganz, teilweise oder gar nicht scheren sollte. Die Schweizer Kaderreiterin Stefanie Scheitlin betont, dass Pferd dabei nicht gleich Pferd ist: „Ich schere meine Pferde nur, wenn es wirklich nicht anders geht. Eigentlich bin ich der Meinung, man sollte nicht in den natürlichen Organismus eingreifen. Aber da ich Sportpferde habe und diese bei der Arbeit stark schwitzen und danach nur schlecht wieder trocknen, schere ich diese. Schließlich fühlen sich die Pferde sicherlich auch nicht gerade toll, wenn alles so klebt und wellt“, so Scheitlin, die mit Wellington einige Erfolge feiern konnte. „Ich schere die Pferde ganz, aber die Beine lasse ich aus. Müssen die Pferde Turniere gehen, werden die Beine auch geschoren, da es ästhetisch schöner ist. Viele Pferde schere ich nicht ganz und dies sind meistens Freizeitpferde, welche nicht stark beansprucht werden. Bei diesen schere ich nur den Hals und die Unterseite des Bauches. Bei meinen Pferden ist es so, dass zwei ganz kurzes Fell haben und ich diese nie scheren muss, einer dagegen schwitzt fest und hat auch entsprechend längeres und dichteres Fell. Bei ihm kommt der Pelz weg. Je nach dem muss ich im Dezember nochmals scheren, dass kommt ganz auf den Winter drauf an.“

Als Freizeitreiter ahmt man gerne nach, was die Profis für richtig halten – ohne groß darüber nachzudenken. Dabei sollte man sich im Klaren sein, dass auch diese Fehler machen können. Nicht jeder geht so behutsam und kenntnisreich vor wie Stefanie Scheitlin. Und auch wenn bei der Dressurreiterin das Scheren nicht zu vermeiden ist, sollte sich jeder Freizeitreiter die Frage stellen, ob es bei seinem Pferd überhaupt sinnvoll ist.

Denn der Eingriff in die Natur des Pferdes ist kein geringer, was viele Reiter wenig beachten.

Haflinger Maria Koch Fell

Natürlicher Pelz

Der Pelz, der unseren Pferden von Natur aus im Herbst wächst, kommt nicht von ungefähr. Die Wohlfühltemperatur unserer Vierbeiner liegt bei 5 bis 10 Grad Celsius – ganz anders als bei Menschen, wo diese bei etwa 15 bis 20 Grad Celsius einpendelt.

Das Winterfell sorgt für den Schutz des Pferdes bei geringeren Temperaturen unter fünf Grad und allen äußeren Einflüssen, wie Wind und Regen, die der Winter für die Pferde mit sich bringt (die Natur geht hier freilich davon aus, dass unsere Pferde immer noch in der Steppe den ganzen Tag draußen verbringen).

Die Möglichkeit, dass sich die Haare des Fells aufstellen lassen, isoliert den Pferdekörper, da dies ein Luftpolster aufbaut.

Vermehrte Talgproduktion im Winterfell sorgt dafür, dass Wasser, beispielsweise Regen, abperlt. Auch Schweiß wird auf diese Art und Weise rasch vom Pferd wegtransportiert. In der freien Natur hätte das Pferd also überhaupt kein Problem damit, im Winter auch durch den Schnee zu sprinten. Dass die Tiere übermäßig schwitzen, ist erst unseren warmen Reithallen und anderen Innenbereichen zuzuschreiben.

Nachteile des Scherens

Wer sich zunächst einmal die Nachteile vor Augen führt, kommt vermutlich auf dem besten Wege zur Entscheidung: Scheren – ja oder nein?

  • Durch das Scheren verändert sich der Schweißabbau beim Pferd. Er verdunstet direkt auf der Haut deutlich schneller, als nach dem natürlichen Abtransport ins Oberfell. Dadurch wird die Kühlung des Körpers verändert, das Pferd verliert mehr Elektrolyte. Diese müssen durch winterliche Zufütterung ergänzt werden.
  • Der durch den Fellwechsel ohnehin schon gestresste Pferdeorganismus muss sich mit dem Scheren oft einer neuen Aufregung unterziehen. Scheren sollte man nur Pferde, bei denen es unumgänglich ist oder die keine Angst vor dem lauten Geräusch der Maschine haben. Sonst ist die Belastung in keinem Verhältnis mit dem Nutzen zu stellen.
  • Das Pferd ist nach dem Scheren auf den Menschen komplett angewiesen. Sein natürlicher Kälteschutz funktioniert nicht mehr und er muss immer vom Menschen mit Decken und besonderer pflegerischer Fürsorge aufrechterhalten werden. Die artgerechte Tierhaltung darf man hierbei niemals vergessen!

Vorteile des Scherens

  • Gerade Turnierpferde müssen oft komplett geschoren werden, wenn sie Hallenturniere gehen. Die Reithallen, in denen Turniere ausgetragen werden, sind für den Menschen angenehm beheizt, das Pferd schwitzt darin mit Winterfell übermäßig. Nach dem Scheren fällt es solchen Pferden wieder leichter, Leistung zu bringen.
  • Nicht außer Acht zu lassen ist bei Sportpferden auch der ästhetische Aspekt: Ein „Teddybär“ macht sich einfach nicht so gut im Parcours… Geschorene Pferde wirken deutlich gepflegter.
  • Sorgsames Scheren mit den richtigen Schermustern kann dem Pferd das winterliche Training erleichtern, da der Schweiß oft besser abläuft.

 

Haflinger Scheren Box

Artgerechte Tierhaltung trotz Scheren

Jedes Pferd, das geschoren wurde, muss dennoch die Möglichkeit bekommen, im Winter möglichst viel nach draußen zu kommen. Sowohl winterliche Ausritte bei Minusgraden als auch ganzjähriger Weidegang dürfen nicht ausgeschlossen werden. Selbst im tiefsten Winter müssen etwa 2 Stunden auf der Weide täglich bei Wind und Wetter möglich sein. Im Stall entwickeln Pferde sonst sehr schnell Allergien und Atemwegserkrankungen. Das Immunsystem wird herabgesetzt, die Belastung durch dauerhafte Stallhaltung im Winter schwächt den Organismus des Pferdes deutlich.

Der beste Zeitpunkt für das Scheren ist bereits im September und Oktober, wenn es noch nicht eisig kalt ist. Dann kann das Pferd sich besser akklimatisieren und zunächst reicht beim Eindecken eine dünnere Übergangsdecke. Diese wird später durch eine Thermodecke ausgetauscht.

Wer erst im November oder Dezember schert, läuft Gefahr, dass es draußen bereits Temperaturen nahe dem Nullpunkt gibt. Dann ist äußerste Sorgfalt beim Eindecken nötig. Das Pferd darf geschoren auf keinen Fall ohne Decke draußen oder gar in der Zugluft stehen. Nun ist auch sofort der Gebrauch einer Thermodecke, die den gesamten Körper schützt, nötig.

Bekannte Schermuster

Eine Komplettschur betrifft den ganzen Körper und spart meist nur die Sattellage aus. Bei einer Teilschur kann beispielsweise das Fell an den Beinen, wo die Tiere bei weitem nicht so stark schwitzen, stehen bleiben. Auch am Unterbauch kann oft das Fell stehen bleiben.

Eine bekannte Variante der Teilschur ist der Deckenschnitt. Hierbei wird das Pferd am Hals, wo die meisten Tiere sehr stark schwitzen, sowie an der Flanke und am Unterbauch entfernt.

Gut geeignet als Schur für Pferde, die im Offenstall oder Paddockboxen gehalten werden, ist die sogenannte Schweißrinne, bei der vom Hals über die Flanke eine recht schmale Rinne geschoren wird, die das Ablaufen des Schweißes beim winterlichen Training beschleunigt.

Beim Scheren immer darauf achten, dass die Maschine sorgsam gewartet wurde. Ölen ist ebenso wichtig, wie scharfe Scherblätter. Beides sollte vor der Prozedur überprüft werden. Maschinen mit Akku sind solchen mit Kabeln vorzuziehen. Diese schränken den Scherenden oft stark ein und stellen vor allem für unruhige Pferde eine Gefahr dar.

Sorgsamer Umgang nach dem Scheren

Nach dem Scheren muss das Pferd besonders umsichtig getrocknet werden. Abschwitzdecken sorgen nach dem Training für den Abtransport des Schweißes. Diese sollten demnach immer in ausreichendem Maße – sauber und trocken – vorhanden sein. Eine durchfeuchtete Decke muss schnell wieder mit einer Stalldecke ausgetauscht werden, da sich die Pferde sonst zu erkälten drohen.

Schon vor dem Scheren sollten passende Decken bereits vorhanden sein. Minimum sind eine Abschwitz- und eine Stalldecke. Die Länge wird bestimmt durch den Abstand vom Widerrist zum Schweifansatz (direkt am Pferdekörper mit seinem Schwung und allen anderen Unebenheiten gemessen).

Vor allem Pferde, die im Offenstall gehalten werden, müssen nach Teil- oder Komplettschur den Winter immer warm eingedeckt verbringen. Hierfür sollten spezielle warme Thermodecke zur Verfügung stehen.

Abschwitzdecken müssen stets luftig aufgehängt werden, damit sie gut durchtrocknen. Sie dürfen erst komplett trocken wiederverwendet werden, deshalb empfiehlt es sich, mehrere Decken dieser Art für ein Pferd zu besitzen.

Der Mensch ist nach dem Scheren in der Verantwortung, das Pferd ohne Krankheiten und artgerecht durch den Winter zu bringen und seine natürliche Lebensweise möglichst wenig einzuschränken.

Beitragsbild: Corinna Kesslinger, die anderen beiden Fotos wurden von Maria Koch aufgenommen.

Text: Alexandra Koch