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Reitmeister-Serie Teil 5: Zirkel-Zauber mit Hubertus Schmidt

14. Oktober 2016, in Aktuell

Er gehört zur jüngeren Garde der Reitmeister und ist auch selbst noch im Spitzensport aktiv: Hubertus Schmidt, Mannschafts-Olympiasieger, Mannschafts-Welt- und -Europameister, zweifacher Deutscher Meister, fünffacher Deutscher Berufsreiter-Champion – von den vielen anderen nationalen und internationalen Einzel-Medaillen gar nicht zu sprechen. Die Deutsche Autorin Britta Schöffmann hat Hubertus Schmidt getroffen – im fünften Teil unserer Reitmeister-Serie zu den neuen Richtlinien geht’s bei ihm richtig rund.

Britta Schöffmann: Herr Schmidt, auf die Frage, welchem Richtlinien-Thema Sie sich hier widmen möchten, kam wie aus der Pistole geschossen: Stellung und Biegung. Warum gerade dieses Thema?
Hubertus Schmidt: Weil dies für mich mit das Wichtigste in der gesamten Dressurausbildung ist und sich wie ein roter Faden durch fast alle Lektionen von der Basis bis hin zum Grand Prix zieht. Wir reden ja immer der großen Bedeutung der ‚halben Paraden am äußeren Zügel‘ und die bekomme ich als Reiter eben nur über die gleichmäßige Biegearbeit hin.

Wozu genau braucht der Reiter Stellungs- und Biegearbeit und, noch wichtiger, wozu braucht sie das Pferd?
n freier Wildbahn muss sich ein Pferd vermutlich nicht unbedingt stellen und biegen. Aber unter dem Reiter braucht es Längsbiegung – und genau das ist ja die Kombination von Stellung und Biegung –, um die Anforderungen, die das Gerittenwerden an es stellt, leichter, ausbalanciert und vor allem ohne große Anstrengung ausüben zu können. Durch korrekte Stellungs- und Biegearbeit versetze ich das Pferd also erst in die Lage, ohne Schaden geritten und gearbeitet zu werden. Diese Arbeit wirkt der natürlichen Schiefe des Pferdes entgegen und führt damit zur Geraderichtung und damit auch zu einer Verbesserung aller Übungen und Lektionen. Ist ein Pferd dagegen lateral ungeschmeidig, wird es immer Probleme mit Lektionen geben.

Woran lässt sich von unten eine solch einseitige Ungeschmeidigkeit ausmachen?
Im allgemeinen an der Qualität einzelner Lektionen. So fällt einem zu einer Seite ungeschmeidigen Pferd zum Beispiel meist das Traversieren zu dieser Seite hin schwer, so dass die Traversale zu dieser Seite mehr ein Rüberquälen denn ein Rüberschwingen wird. Ein falscher Einsatz der Kandare macht solche Probleme dann meist noch schlimmer. Es ist nämlich enorm wichtig, Stellung nicht mit dem inneren Kandarrenzügel erzwingen zu wollen. Es muss immer der innere Trensenzügel vorherrschen, denn sonst macht das Pferd sein Genick nur eng und tut sich noch schwerer mit der Längsbiegung.

Was wird mit einem jungen Pferd zuerst erarbeitet? Stellung oder Biegung?
Da es Biegung nicht ohne Stellung gibt, streng genommen erst die Stellung. Aber auf der hohlen Seite bieten auch junge Pferde bereits Biegung an, während man als Reiter manchmal schon mal froh ist, auf der festen Seite überhaupt ein wenig stellen zu können.

Ab wann kann ein Reiter mit einem jungen Pferd gezielter daran arbeiten?
Eigentlich ab dem ersten Tag, an dem ich auf dem Pferd sitze. Erste Erfahrungen mit Stellung hat es bei richtiger Ausbildung ja bereits zuvor an der Longe gemacht, wo es sich bei leichter Innenstellung auf gebogener Linie bewegt hat. Unter dem Reiter soll es dann zunächst erst einmal geradeaus gehen, was manchmal für einen Dreijährigen schon schwer genug ist. In den Ecken kommen dann die ersten Wendungen hinzu, bei der ich als Reiter erste Stellung abfrage. Aber natürlich muss ich dabei noch Kompromisse eingehen. Nach vier bis sechs Wochen beginne ich, auch mal große Zirkel zu reiten, so dass spätestens dann die Anforderungen an Stellung und Biegung größer werden.

Welche Lektionen und Übungen setzen Sie in Ihrer Arbeit ein, um Stellung und Biegung zu erreichen bzw. zu verbessern?
Die Arbeit auf dem Zirkel gehört für mich zu den ganz wichtigen Grundlagen. Sie glauben kaum, wie viele Reiter keinen wirklich runden Zirkel reiten können. Und es gibt sogar Grand Prix-Reiter, die ihre Probleme damit haben. Ich lasse meine Schüler immer ganz bewusst, die vier Zirkelpunkte als Orientierungshilfe, die saubere Zirkellinie gleichmäßig reiten, damit sie lernen, ihr Pferd zwischen innerem Schenkel und äußerem Zügel einzurahmen. Erst wenn das gelingt ist das Pferd auch gleichmäßig gestellt und gebogen und bereit für schwierigere Lektionen wie das Schulterherein oder später auch die Traversalen. Letztlich gilt diese Basisarbeit schon für jedes Durchreiten einer Ecke, die ja nichts anderes ist als eine Viertel-Volte.

Inwieweit haben Stellung und Biegung Einfluss auf die Qualität von Lektionen und auch die Bewegungsqualität eines Pferdes?
Sie haben sogar einen großen Einfluss. Über die Erarbeitung von Längsbiegung werden Lektionen wie Volten, Seitengänge und Pirouetten flüssiger. Hat ein Pferd dagegen Probleme mit Stellung und Biegung und lässt sich zu einer Seite schlechter an den äußeren Zügel reiten, wird sich dies negativ auf die Ausführung auswirken. Ungleiches Vorfußen in der Passage entsteht beispielsweise durch ungleichen Kontakt zum Zügel, und auch bei den fliegenden Galopwechseln kann es zu einem ungleichen Vorspringen kommen, wenn das Pferd auf einem Zügel mehr drauf ist. Ist ein Pferd rechts und links dagegen gleich geschmeidig gearbeitet, verbessert sich auch die Qualität seiner Bewegungen, sowohl die allgemeine als auch die in den Lektionen selbst. Denn nur dann kann auch der Schwung beispielsweise in Volten erhalten bleiben, die Schulter wird freier, das Becken beweglicher, die Pferdebeine können in Seitengängen weiter seitwärts fußen. Ich habe schon oft erlebt, dass Pferde, die eine vorher vielleicht eher kratzige Galoppade hatten, über die biegende Traversalarbeit zu einem kraftvolleren, verbesserten Galopp kamen. Denn erst durch die Biegung und den damit vermehrten Kontakt über den äußeren Zügel kann der Reiter ja über halbe Paraden gezielt auf das äußere Hinterbein, das in den Traversalen vorschiebend trägt, einwirken.

Gibt es Lektionen, die ohne Längsbiegung überhaupt nicht funktionieren?
Bei Traversalen kann man sicher am ehesten sehen, ob ein Pferd lateral steif ist. Es gibt Pferde, die traben geradeaus wie ein Weltmeister und in den Traversalen geht dann nicht mehr viel.

Was tun Sie, wenn sich ein Pferd trotz korrekter Arbeit mit Stellung und Biegung schwer tut?
Zunächst einmal muss dem Reiter klar sein, dass alle Pferde sehr unterschiedlich sind, auch bezüglich ihrer seitlichen Geschmeidigkeit. Es gibt Pferde, die sind hoch beweglich, entziehen sich aber manchmal wie eine Schlange. Die gilt es durch die Arbeit gefestigter zu bekommen. Andere dagegen sind lateral eher steif, dafür vielleicht aber stabiler und tragfähiger. Wenn ein Pferd aber ganz extreme Schwierigkeiten zeigt, dann lasse ich medizinisch abklären, ob sich dahinter gesundheitliche Probleme verbergen. Wenn nicht, dann hilft manchmal nur der Schritt zurück zu einfacheren Übungen wie dem auf den ersten Blick so simplen Zirkel.

 

(„Mit freundlicher Genehmigung des PM-Forums, Mitgliederzeitschrift der Persönlichen Mitglieder der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN)“)