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Doping-Fall Wettstein. Nun nimmt Estelle zum ersten Mal Stellung: „Ich stand völlig unter Schock.“ Das Interview.

20. Januar 2016, in Dressur, National

An der SM Dressur 2015 in Turbenthal letztes Jahr wurde Estelle Wettsteins Pferd Friedrich der Grosse positiv auf die verbotenen Substanzen (Codein, Oripavin und Morphin) getestet wie nur ein paar Wochen vorher die beiden Pferde Nino de Buissonnets und Nasa von Steve Guerdat. Estelle Wettstein wurde zwei Wochen nach der Doping-Probe über den positiven Befund informiert. Es wird ihr von der Sanktionskomission des SVPS (zum Interview mit Thomas Räber)  vorgeworfen, nicht alle zumutbaren Sorgfaltsmassnahmen getroffen zu haben, damit das Pferd nicht mit dem kontaminierten Futter von Swissfritz in Berührung kommt und es schon gar nicht frisst!. Im Interview mit pferdonline erzählt Estelle über ihren ersten Schock, die vergossenen Tränen und das grosse Fragezeichen, das zurückbleibt.

pferdonline: Wie und wann hast du diese Nachricht erhalten?
Estelle Wettstein: Der Anruf aus Bern kam zu meinem Vater und der hat mich dann angerufen. Ich bin aus allen Wolken gefallen, konnte es nicht glauben. Ich war vollkommen überrumpelt, es fühlt sich an wie eine riesige einzige Ohnmacht. Ich bin in Tränen ausgebrochen, stand völlig unter Schock.

Wie waren die Tage danach?
Es hat mich unglaublich belastet. Ich konnte es nicht verstehen. Da investiert man so viel fürs Training schaut, dass es den Pferden gut geht und will nur das Beste – dann das. Ich habe mit mir selber angefangen zu kämpfen, fühlte mich wie in einem schlechten Traum. Ich konnte auch nicht mehr richtig trainieren, dieser Gedanke lässt einen nicht mehr los.

Wie kam Friedrich der Grosse denn zu diesem Futter?
Ich habe keine Ahnung. Wir haben – auf Weisung des Verbandes nach dem Fall Guerdat – alle erdenklichen Massnahmen getroffen. Wir haben den Futtermittelhersteller gewechselt, haben alle Futterkrippen gewaschen, ja sogar die Boxen rausgewaschen. Ich weiss es nicht. Wir haben verschiedene Stalltrakte. Unsere Sportpferde sind klar getrennt von den Pensionären, dazwischen liegen Halle und Betriebsgebäude. Wir haben angefangen zu spekulieren; haben wir etwas übersehen? Sind Körner in Ritzen liegengeblieben? Wo stand Friedrich der Grosse im LKW? Haben wir einen Futtersack verwechselt, hat ein Pfleger was Falsches eingepackt? Hat Freddy auf dem Weg oder am Turnier etwas gefressen? Das ist das Schlimmste an der Sache: Es kann Jedem jederzeit passieren.

Warum habt ihr den Fall nicht weitergezogen und das Futter untersuchen lassen?
Die von uns sofort beigezogenen Experten hatten uns bestätigt, dass der Befund zweifelsfrei auf Grund einer Verunreinigung des Futters mit Schlafmohnsamen resultiert. Wir konnten uns aber nicht erklären, wie es bei Freddy dazu kam. Den Titel abzugeben tat sehr weh, die Sperre war eine starke Strafe für mich, aber zum Glück nun bereits vorbei. Wenn wir den Fall weitergezogen hätten, hätten wir horrende Aufwände, vermutlich ohne Aussicht auf Erfolg gehabt, und dann wäre die Sperre vielleicht im Sommer gekommen, das wäre turniertechnisch sehr blöd gewesen. Unglaublich ist einfach, dass diese unbedeutend kleinen Mengen im Nanobereich – also neun Stellen hinter dem Komma! – gemessenen Werte absolut keinen Einfluss auf die Leistung des Pferdes hat. Für mich als junge Reiterin ist die Bestrafung daher schon sehr hart.

Wie geht es dir jetzt – nachdem alles an der Öffentlichkeit ist?
Irgendwann muss man es akzeptieren, so wie es ist. Wir haben die Busse bezahlt – Mami als Besitzerin des Pferdes – und ich meine Sperre gehabt. Ich habe viel daraus gelernt, aber vor allem bin ich froh und sehr dankbar, dass die Sponsoren, mein Arbeitgeber und meine Familie und Freunde mich immer und voll unterstützt und zu jedem Zeitpunkt hinter mir gestanden haben. Nun kann ich mich endlich wieder voll und ganz aufs Reiten konzentrieren. Aber ganz ehrlich: So etwas wünsche ich niemandem. Wenn man von anderen solchen Fällen hört, denkt man oje, nicht gut für den Betreffenden. Aber wenn es einen selber betrifft – es ist viel mehr dahinter, das hätt ich nie gedacht. Die Situation frisst einen komplett auf. Es ist schon krass, mit 19 Jahren so etwas zu erleben.

Interview und Beitragsbild – Gina Kern (Foto Estelle mit ihrem Freddy in der Box an der SM in Turbenthal 2015)

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Im neuen Bulletin steht geschrieben unter Ordungsmassnahmen: Estelle Wettstein, Wermatswil SM/CD Turbenthal, 9. bis 13. September 2015:

Teilnahme an Veranstaltung mit Pferd, das unter Einfluss einer Substanz gemäss der FEI Equine Prohibited Substances List stand. Es wurde nicht alle zumutbaren Sorgfaltsmassnahmen getroffen.

Entscheid:
– Sperre von Estelle Wettstein mit dem Pferd Friedrich der Grosse für einen Monat (Sperre bereits verbüsst)
– Publikation im Bulletin
– Disqualifikation
– Rückgabe der Preise sowie der Medaille

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